10 Fragen an Helge Ostertag
20.06.2016
Helge Ostertag
Entwickler
Gaia Project
Terra Mystica
Hallo Herr Ostertag, schön, dass Sie für die 10 Fragen des Brettspiegels Zeit gefunden haben.
Mit Ihrem Spiel "Terra Mystica", das Sie mit dem Co-Autoren Jens Drögemüller zusammen entwickelten, haben Sie seit der Veröffentlichung im Jahre 2012 sowohl einen enormen nationalen wie auch internationalen Hype um das Spiel genießen können. Können Sie den Lesern und Leserinnen einen Einblick in die Phase der Entwicklung geben, wie z.B. Ideenfindung, Entwicklungszeit, Phase des Testens und Hindernisse?
Die Ursprünge des Spiels reichen zurück bis ins Jahr 1996. Damals entwickelten mein Bruder Anselm und ich zusammen ein Strategiespiel mit dem Arbeitstitel "Gorod" (Russisch: „Stadt“), bei dem es einen aus quadratischen Feldern aufgebauten Spielplan gab, es gab 5 verschiedene Völker und Landschaften, das Terraformen gab es auch. Beim ersten Süddeutschen Spielautorentreffen in Haar bei München kamen wir 1997 mit der Spieleszene in Kontakt und der Hans-im-Glück Verlag testete unseren Prototypen. So richtig ausgegoren war das Spiel aber nicht, wurde abgelehnt und verschwand schließlich erstmal in der Schublade. Im Laufe der Jahre holte ich es immer wieder hervor und arbeitete daran ohne meinen Bruder weiter und es wurde allmählich komplexer, die Völker bekamen Eigenschaften, es wurden 7 Landschaften, mehr Gebäudetypen und das wichtigste: die Ressource Macht und das Spielertableau kamen hinzu und die Art, wie gebaute Gebäude Einkommen freischalten. Das entwickelte ich übrigens bereits 2007-2008, also vermutlich zeitgleich wie auch der Autor von Hansa Teutonica einen ähnlichen Mechansimus austüftelte.
Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Verlag "Feuerland Spiele" und Ihrem Co-Autoren Jens Drögemüller entstanden?
Über die Leute von "Cliquenabend.de", die meinen Prototypen sehr gut fanden, nahm ich 2010 bei deren Prototypenevent auf Mallorca teil, dort traf ich Uwe Rosenberg, dem das Spiel so gut gefiel, dass er sagte, er sorgt für seine Veröffentlichung. Dies führte zur Gründung des "Feuerland Spieleverlages", der 2012 mit "Terra Mystica" seinen Einstand gab. Die intensivste Testphase war von 2010 bis 2012 mit Frank Herren ("Feuerland Spieleverlag") und Jens Drögemüller, den ich dann als Co-Autor mit ins Boot holte. Auch Uwe Rosenberg war am Feinschliff von "Terra Mystica" beteiligt.
In vielen Diskussionsforen wird ausführlich über die Stärken und Schwächen der einzelnen Völker in "Terra Mystica" diskutiert. Zum Teil wurden auch Statistiken und Spielberichte veröffentlicht, die die Schwächen einzelner Völker sichtbar machen. Würden Sie aus Ihrer heutigen Sicht sagen, dass ganz bestimmte Völker in ihren Eigenschaften schwächer sind? Und können Sie sich vorstellen, in nächster Zeit Handlungen vorzunehmen, die für eine bessere Ausgeglichenheit der Mechanismen sorgen?
Die Fakire sind klar das schwächste Volk, ich habe in ihrer ursprünglichen Version damit in den Testpartien damals recht gut gespielt, was meinen Testpartnern als viel zu stark erschien, so dass sie soweit geschwächt wurden, bis sie völlig ruiniert waren (da wurde ich leider überstimmt). Na ja, die Auren sind auch nicht das stärkste Volk, ebenso die Geweihten aus der Erweiterung. Das Problem ist ja, dass es einfach eine Vielzahl an Faktoren und Kombinationen gibt, die man beim Tetsten versucht, zu berücksichtigen und dann zeigt nachher die Statistik der Online-Spiele (http://terra.snellman.net/), dass ein Volk nicht so ausgewogen ist, wie das Ergebnis der Testpartien schien. Immerhin stehen ein paar hundert Testpartien viele tausend gespielte Online-Spiele gegenüber, aber Abhilfe kommt, die neuen Bonuslandschaften erhalten gerade auf boardgamegeek über einen Wettbewerb Funktionen, die den Völkern neue Balance bringen sollen.
Was ist eigentlich Ihr Lieblingsvolk des Grundspiels und warum? Und mit welchem Volk können Sie überhaupt nicht umgehen? ;)
Mein Lieblingsvolk aus dem Grundspiel sind die Chaosmagier, man muss aufpassen, nicht eingebaut zu werden, hat aber viele Möglichkeiten, über die Günste attraktive Züge zu machen. Mit den Düsterlingen mache ich nicht immer das beste Spiel, ich mag andere Völker einfach lieber.
Was waren die Beweggründe für die erste Erweiterung ("Terra Mystica: Feuer & Eis")? Ist es nicht extrem schwer, jetzt noch mehr Völker in ein Gleichgewicht zu bringen? Sind außerdem auch schon weitere Erweiterungen geplant?
Wir wollten gerne mehr Spielpläne einführen, aber auch weitere Optionen, die dem Grundspiel neue Kombinationen verleihen (neue Schlusswertungen, Änderung der Zugreihenfolge und natürlich weitere Völker). Das Balancing der neuen Völker war sehr schwierig und wir mussten auch noch mal nachjustieren, aber für das Meta-Spiel ist es einfach sehr reizvoll, sich zu überlegen, welches Volk im aktuellen Setup aus Wertungen und Bonusplättchen wohl gut zu spielen ist, auch gegen die Völker der Mitspieler. Alle Erweiterungsvölker bringen hinsichtlich ihrer Startlandschaft ja eine Wahlmöglichkeit mit sich, womit wir auf allen Spielplänen für überraschende Wendungen gesorgt haben. Die Bonuslandschaften waren erst mal die letzte Erweiterung, aktuell ist unser neues Spiel "Terra Mystica: Gaia Projekt" in Arbeit, das 2017 erscheinen wird.
Was können Sie der Community näheres über dieses Projekt verraten? Werden z.B. die Abläufe exakt übernommen oder verändern sich auch die Mechanismen?
"Gaia Projekt" ist sozusagen "Weltraum Terra Mystica", bei dem der Fokus mehr auf Technologien und Entwicklung gelegt ist. Es wird wohl sieben verschiedene Völker geben mit sieben Heimatplaneten, der Spielplan wird im Aufbau variabel, es gibt 12 Grundtechnologien ("TM": Günste) und immer 6 aus ca. 18 fortschrittlichen Technologien. Entwickeln kann man sich auf dem Forschungstableau (ersetzt die Kulte aus "TM") in sechs Bereichen: Terraforming, Navigation, Xenologie, Gaia Projekt, Wirtschaft, Wissenschaft. Es gibt einige vertraute Elemente (z.B. Gebäudeupgrade, Machtkreislauf, Rundenbonuskärtchen), aber vieles ist an die Bedingungen im Weltraum angepasst. Neues Spielelement ist z.B. das "Gaia Projekt", bei dem Planeten auf eine andere Art besiedelt werden können oder die Ressourcen Scoutschiffe und Wissen oder die Satteliten, die bei der Allianzgründung (Äquivalent zur Stadtgründung in "TM") eingesetzt werden können.
Sie waren der Inhaber von "Pfifficus-Spiele". Auf der Verlagsseite steht, dass der Verlag nicht mehr existiert. Was können Sie über Ihren Verlag berichten? Was war Ihr Ziel und warum ist das Vorhaben letztlich gescheitert?
"Pfifficus-Spiele" waren die ersten Gehversuche in der Spieleszene zusammen mit meinen Brüdern. Wir haben als Eigenverleger mit viel Enthusiasmus Erfahrungen gesammelt und einfach mal den Vorstoß auf den Markt gewagt, letzlich haben wir neben einigen Anfängerfehlern vor allem mehr Geld hineingesteckt als dabei herauskam, der zeitliche Aufwand noch gar nicht miteingerechnet, so dass wir dann nach einigen Jahren entschieden haben, das so nicht weiter zu machen, ich bin 2008 aus dem Verlag ausgestiegen, mein Bruder Anselm hat das mit einem Kumpel noch bis 2010 weitergeführt, aber dann mangels Erfolg eingestellt.
Einige Spiele haben Sie damals schon über Ihren eigenen Verlag herausgebracht. Welches Spiel können Sie den Lesern und Leserinnen empfehlen, das aus Ihrer Feder stammt und warum?
Wer komplexe Strategiespiele mag, kann sich mal an "KAIVAI" heranwagen, ein Spiel aus dem Jahre 2005 mit Elementen von Workerplacement und besonderen topologischen Herausforderungen dank wachsender Inseln und sich verändernder Schifffahrtswege auf dem Spielplan. Wer es taktischer mag, dem sei "Galaktico" nahegelgt, ein Spiel für 3 Spieler, die ihre Raumflotten gegeneinander antreten lassen – der Clou dabei: vor jeder Partie bestücken die Spieler ihre Schiffstypen insgeheim mit einer Kombination aus Waffen und Schilden, so dass die Stärke der Raumschiffe sich erst nach und nach zeigt, je nachdem, gegen welches andere Schiff sie kämpfen.
Was sind Ihre Ziele für die nächsten Jahre im Kontext von Brettspielen?
Alle paar Jahre ein neues Spiel hervorbringen, das reicht mir völlig aus, es gibt ja ohnehin eine Neuheitenflut, da lasse ich mir inzwischen lieber mehr Zeit mit der Entwicklung, "Terra Mystica" hat ja auch einen langen Entstehungsprozess hinter sich. Die Zusammenarbeit mit dem "Feuerland Spieleverlag" klappt ja sehr gut, da werden sicher noch etliche gemeinsame Projekte erfolgen. Und möglicherweise erfährt ein Spiel, das ich mit meinem Bruder entwicklet habe, demnächst eine Neuauflage, da er es sehr vielversprechend überarbeitet hat.
Können Sie schon von dem Erfolg von "Terra Mystica" insoweit leben, dass Sie nun hauptberuflich als Spieleentwickler tätig sein können? Und wie viele Stunden in der Woche widmen Sie generell Brettspielen (selbst spielen und evtl. entwickeln)?
"Terra Mystica" hat mir jedenfalls einen schönen Zuverdienst gebracht, aber meinen Hauptberuf als Kunsttherapeut in einer psychsomatischen Klinik übe ich weiterhin aus. Spieleerfinder ist derzeit mein Zweitberuf. Inzwischen geht einiges an Zeit für Internetrecherche drauf, ebenso für die Betreuung von Internetforen, Emailanfragen etc., im Schnitt mindestens 1-2 Stunden am Tag. Einmal pro Woche komme ich zum Spielen, manchmal auch an zwei Abenden, derzeit hauptsächlich für Testspiele, das sind dann meistens ca. 5 Stunden pro Spieleabend. Selber einfach nur spielen, das klappt ca. 1x im Monat.